Antworten zum Thema Fluglärm von Dr. Schüssel (ÖVP)

Sent: Friday, September 26, 2008 3:58 PM
Subject: AW: Kommende Nationalratswahl; Fluglärm Betroffene im Regionalwahlkreis 9E, Wien Süd-West; Entscheidungshilfe

ich danke für Ihre untenstehende Mail.

 Gerne nehme ich dazu Stellung, doch finde ich es schon etwas Befremdlich, dass Sie mir meine Antwort schon vorwegnehmen wollen, indem Sie vorgeben, welche Hinweise und/oder Verweise hilfreich sind und/oder nicht. Zudem ersuchen Sie um die konkrete und verbindliche Beantwortung Ihrer Fragen, was immer das auch im Konkreten heißen mag.  

Sie, ..., wissen besser als ich, immerhin sind Sie Mitglied der BI Liesing gegen Fluglärm und gegen die 3. Piste, dass mit Anfang August die Einspruchsfrist gegen die dritte Piste abgelaufen ist.

 Insgesamt sind rund 1200 Einwendungen und Stellungnahmen von 10 Umlandgemeinden, 2 Umweltorganisationen sowie 14 Bürgerinitiativen aus Wien und NÖ beim zuständigen Amt der Niederösterreichischen Landesregierung, Abteilung für Umweltrecht, eingelangt. Das Verfahren ist also erst ein beginnend Laufendes und wird in aller Rechtsstaatlichkeit ablaufen.

 
Dieses Verfahren ist auch der Raum um die Einwände und Interessen - rechtwirksam - geltend und zum Verhandlungsgegenstand zu machen. Und erst das Ergebnis des Verfahrens, so es ein Endgültiges ist, die Ausschöpfung des Rechtsweges ist ein dazugehöriges legitimes Rechtsmittel, ist ein konkret Verbindliches.

Bei aller Betroffenheit, für die ich Verständnis habe, bitte ich Sie, aber auch das zu berücksichtigen.

 Damit zu Ihren Fragen:

1)   Sind Sie für die Verwendung alternativer Flugrouten mit möglichst wenig Betroffenen und damit für die vollständige Rücknahme sämtlicher der erst seit 2004 (!) bestehenden Flugrouten über Liesing?

Selbstverständlich bin ich für die Verwendung aller - alternativen - Flugrouten, um die Belastung im Sinne eines Lastenausgleichs für jeden betroffenen Anrainerteil so gering wie möglich zu halten. Sie wissen aber auch, dass die Flugrouten ebenso wie die Flugzeiten geregelt sind, folglich auch einer Regelung bedürfen. Und genau dazu gibt es die bekannten Verfahren und Rechtsmittel um diese Lösungen zu finden. Ob es im Rahmen dieser Lösungen zu einer vollständigen Rücknahme sämtlicher Flugrouten über Liesing kommen kann, vermag ich heute nicht zu sagen, erscheint mir aber mehr als fraglich. 

Alternative Flugrouten - z.B. über die Borealis-Gründe - sollten aber jedenfalls genutzt werden. 

 2)   Falls Sie nicht für eine Wiederherstellung des Zustand vor 2004 eintreten, was werden Sie konkret unternehmen, damit die betroffenen Liesinger für die erlittenen Sonderlasten entschädigt werden? (für Sie zur Information: In der rechtlich sichtlich weiterentwickelten Schweiz muss die Flughafenbetreiberin in Zürich 19.000 Betroffene mit vorerst 760 Mio. Franken ENTSCHÄDIGEN!)

Eintreten ist das Eine, das Finden von Lösungen das Andere. Finden diese Lösungen nicht in Kompromiss und Einigung statt, bleibt für die Geltendmachung - welcher Ansprüche auch immer – die Beschreitung des Rechtsweges; und ich habe vollstes Vertrauen in unser Rechtssystem, das - wie kaum ein anderes - gerade im Umweltrecht weitestgehende Anrainerrechte kennt.

 3)   Welche Maßnahmen werden Sie treffen, um lärm schonende Anflugverfahren im allgemeinen und den verpflichtenden lärmarmen, kontinuierlichen Sinkflug über Wien durchzusetzen, welcher den 10., 13., 14. und 23. Bezirk massiv entlasten würde? 

 Ich werde gerne jede Maßnahme unterstützen, die, wenn, die geringst mögliche Belastung der betroffenen Anrainer sicherstellt. Dazu werde ich auch alle parlamentarischen Mittel nutzen um diese Lösungen voranzutreiben.

Ganz wesentlich werden die Lösungen und Möglichkeiten aber auch davon abhängen, was und wie die betroffenen Bezirke/Anrainer und die Stadt Wien selbst reagieren und agieren sowie verhandlungsbereit sind.

Alles aber immer im Rahmen und auf dem Boden der Rechtsstaatlichkeit; auch in der Akzeptanz von Entscheidungen.  

 4)   Unterstützen Sie persönlich den rigorosen Ausbau der Drehscheibenfunktion des Wiener Flughafens mit derzeit rd. 6 Mio. Transitfluggästen bei stark steigender Tendenz (Wien als moderne Form der Transithölle Inntal!) ODER vertreten Sie die Interessen der vom Fluglärm Betroffenen für eine Rücknahme dieser Strategie, die zu einer signifikanten Reduktion der Flugbewegungen über Ihren Wahlkreis führen würde?

Wie wäre es mit sowohl als auch? 

Einerseits braucht Wien und Wien-Umgebung einen leistungsfähigen Flughafen um als Wirtschaftsstandort attraktiv zu bleiben, andererseits darf das nicht darin enden, dass die Menschen im Umfeld ihre Lebensqualität verlieren.

Und ich habe, ich wiederhole mich, vollstes Vertrauen in die Rechtsstaatlichkeit der Verfahren, die diese Lösungen im Für und Wider der Interessen, aber auch der Gemeinsamkeiten, finden werden.

 
5)   Wie ist Ihre Haltung zum Bau einer dritten Piste? Wenn ABLEHNEND, was werden Sie tun, um diese Haltung durchzusetzen? (bekanntlich halten Wien und das Land NÖ je 20% am Flughafen).

 So weit ich informiert bin, und Experten und Fachmeinungen höre, soll gerade die dritte Piste auch den Spielraum bringen, den Sie für sich einfordern, nämlich einen Lastenausgleich der betroffenen Anrainerteile.

Denke, das wird/ist Bestandteil des Verfahrens auch.  

     6)   Wie ist Ihre Haltung zu einem strikten Nachtflugverbot über Wien und wann soll dieses gelten?

Die derzeitige Regelung ist, wird mir gesagt, schon relativ weitreichend. Wenn eine Erweiterung erreicht werden kann und beispielsweise auch wirtschaftlich vertretbar ist, bin ich der erste der diese Lösung mitunterstützt bzw. einfordert. Möglicherweise ist das ja auch ein Puzzlestein der Gesamtlösung, die anzustreben bzw. zu finden ist.

 7)   Sind für oder gegen höhere Lärmschutzgrenzwerte für Fluglärm, d.h. würden Sie konkrete Gesetzesvorlagen für niedrigeren Fluglärm einbringen oder unterstützen?

Entweder - oder, für oder gegen? Unsere global vernetzte Welt verlangt mehr und mehr nach flexiblen Lösungen in einem sowohl als auch. Also das Eine tun, das Andere nicht lassen zum Beispiel. Ziel ist und muss sein, die Belastung der Betroffenen so gering wie möglich zu halten, keine Frage. 

Wir müssen aber auch in Forschung und Entwicklung investieren, um mit Hilfe von - vernetztem - Wissen, Erfahrung und Technik immer bessere Lösungen für dieses sowohl als auch zu finden.

 8)   Sind Sie für Kostenwahrheit im Verkehr und damit für die Abschaffung der Steuerprivilegien des Flugverkehrs (keine Grundsteuer, keine Mineralölsteuer, keine Ticketsteuer) und eine Anhebung der Überflugs- und Landegebühren auf zumindest deutsches Niveau um den Transitverkehr im österreichischen Luftraum zu reduzieren (Ende des Gebührendumpings)?

... ich denke, wir sollten in diesen Fragen den Experten und einer Gesamtlösung, nicht Einzelmaßnahmen, das Wort reden.

Aber selbstverständlich sind wir für Kostenwahrheit und Transparenz von Kosten und wir befürworten auch eine gestaffelte Gebührenpolitik durchaus auch mit dem Steuerungsziel der Reduzierung von Schadstoff- und Lärmemissionen.

Einfach nur die Gebühren zu erhöhen, das ist mit Sicherheit kein zielführender Weg, wie allein schon die Stadt Wien vorzeigt.

 Auch wenn meine Antworten möglicherweise nicht immer nur Ihre Zustimmung finden, so bitte ich doch auch um Ihr Verständnis und verbleibe

 
mit freundlichen Grüßen

 
Dr. Wolfgang Schüssel

ÖVP-Klubobmann