Unten stehend findet sich eine am 25.1.2012 per Mail geführte anonymisierte Diskussion mit einem Vertreter der Wiener Wirtschaftskammer

Stellungnahme der Wirtschaftskammer:

Für den Ausbau des Flughafen Wiens sprechen viele Argumente. Wir geben Ihnen vollkommen Recht, eine dritte Piste würde eine Erhöhung der Umsteigerzahlen mit sich bringen. Dies wiederrum würde Wien als Flughafendrehkreuz positionieren, was sich für die Flugverbindungen nach und von Wien weg nur positiv auswirken kann.

Für die Tourismuswirtschaft, die sich ausdrücklich für den Bau einer dritten Piste ausspricht, ist ein Argument entscheidend: Mehr Starts und Landungen bedeutet mehr Möglichkeit für Touristen und Kongressteilnehmer bequem nach Wien anzureisen. Immerhin ist das Passagieraufkommen allein in den letzten zehn Jahren von zwölf auf fast 20 Millionen Reisende gestiegen. Und von mehr Touristen profitiert nicht nur die Tourismuswirtschaft, sondern die gesamte Stadt. Allein 2010 bewirkte Wiens Kongress- und Tagungstourismus Gesamtsteuereinnahmen von 213,8 Mio.

Unsere Meinungsbildung über den Bau der dritten Piste des Flughafens Wien stützen wir auf fundierte Studien. Hierfür verweise ich unter anderem auf den Infrastrukturreport 2011 ,,Future Business Austria" über den Status und die Entwicklung der Infrastruktur in Wien. Die Analysen und Befunde dieses Reports basieren auf Inputs von Experten des Instituts für Höhere Studien, repräsentativen Befragungen österreichischer Manager sowie qualitativen Interviews mit 100 Experten aus Politik, Wirtschaft und Verwaltung in Wien.

Eine wichtige Hintergrundinformation zur Entscheidung über den Bau der dritten Piste ist die Tatsache, dass der Flughafen Wien derzeit rechnerisch lediglich über 1,7 Pisten verfügt, da sich die beiden bestehenden Start- und Landebahnen kreuzen und daher nicht parallel genutzt werden können. Interessanterweise kann demnach der Bau der dritten Piste zu weniger Fluglärm in Ihrem Wohngebiet führen, da dadurch die Flugstarts und Landungen besser geplant werden können und umweltschädliches Schleifenfliegen reduziert werden kann. Auch eine bessere Verteilung der Einflugschneisen wird erst mit einer dritten Piste möglich, weil diese insbesondere von der jeweiligen Windrichtung abhängig ist.

Ebenfalls Recht geben wir Ihnen mit der notwendigen Optimierung der Bahnverbindungen nach Wien. Die Erreichbarkeit unserer Touristenmetropole per Zug muss sich dem europäischen Standard angleichen. Nur so kann sich der Bahnverkehr als attraktive Alternative zur Anreise anbieten. Sonst ist eine internationale Positionierung Wiens als touristischer und wirtschaftlicher Top-Standort langfristig nicht gesichert.

Auch wir sind nicht erfreut über die Geschichte des Skylink-Baus, rücken jedoch von unserer Meinung, dass der Ausbau des Wiener Flughafens für das Wohl der gesamten Stadt und vor allem für die Tourismus- und Freizeitwirtschaft unumgänglich ist, nicht ab. Jede Verbesserung der verkehrstechnischen Erreichbarkeit unserer Stadt ist mehr als wünschenswert für ein kontinuierlich wachsendes Wien.

Antwort:

Nachdem ich ihr Mail in Kopie erhalten habe und gerade gelesen habe, dass in Berlin die Flugrouten aus Sicherheitsgründen einen  Parallelanflug über die Stadt vorsehen, kann ich Ihnen versichern, dass das Argument eine 3. Piste würde Wien oder Liesing vom Fluglärm entlasten, mehr nach Propaganda aus der Flughafen-Ecke klingt, als dass hier irgend ein Zusammenhang mit der Realität bestehen dürfte. Denn bei der eingereichten Ausrichtung der 3. Piste auf Wien würde die 2. Piste, die zur Entlastung Wiens auch aus Steuermitteln finanziert wurde, (unter Tags) weitgehend stillgelegt. 
 
Realistischerweise ist zu erwarten, dass mit einer 3. Piste - so wie in Berlin -  "aus Sicherheitsgründen" in direkter Pistenverlängerung und damit über den Wiener Zentralraum angeflogen wird. Dafür gibt es in Liesing bereits entsprechende Listen mit Grundstücken, die für die Sicherheitszone vorgesehen sind. In direkter Verlängerung der 3. Piste liegen aber auch Meidling und Hietzing, was diesen Teil der Stadt für Touristen ziemlich unattraktiv macht. 
 
2. Landeroute über Wien
 
Weiters ist für Liesing laut aktualisierter Umweltverträglichkeitserklärung des Flughafens eine Vervierfachung der Anzahl an startenden Flugzeugen vorgesehen http://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20110826_OTS0053/umweltvertraeglichkeitsgutachten-zur-3-piste-realitaetsverweigerung-fuer-fortgeschrittene-bildDaher würde mich interessieren, welche Zahlen der von Ihnen behaupteten Entlastung für unser Wohngebiet zu Grunde liegen?
 
Das Argument mit den Warteschleifen kann ich mathematisch nicht nachvollziehen. Abgesehen davon dass kaum Warteschleifen geflogen werden müssen und es zu deren Vermeidung schon die Transition Arrivials gibt, lassen sich diese normalerweise durch eine entsprechende Planung bei der Vergabe der Slots bzw. vor dem Start eines Flugzeugs leicht zu verhindern. Die zusätzliche Kapazität die 2 Pisten gegenüber 1,7 Pisten bieten, reicht nicht einmal aus, um die die geplante Erhöhung des Anteils der Umsteigepassagier von 33 auf 50% auszugleichen (15% mehr Kapazität für 17% mehr Flugzeuge), womit hier keine Verbesserungen zu erwarten sind. Wenn aber - so wie Sie hoffen - auch noch mehr Touristen kommen würden, kommt es damit zu mehr und nicht zu weniger Warteschleifen.
 
Will man dicht besiedeltes Wiener Gebiet tatsächlich vom Fluglärm entlasten, dann kann man das jetzt auch schon in dem man beispielsweise die unnötigen Abflugrouten über Liesing wieder einstellt. Was übrigens auch im Sinne der Luftverkerhrsregeln und im Interesse des Steuerzahlers ist, der dadurch für weniger Gesundheitskosten aufkommen muss.
 
Weiters ist zu bezweifeln, dass sich der Flughafen mit seiner dünnen Eigenkapitaldecke 0,3 Pisten um geplante 1,8 Milliarden Euro leisten kann - Baukostenüberschreitungen noch nicht eingerechnet. Falls Ihnen hier gegenteilige Berechnungen vorliegen, die tatsächlich eine Wirtschaftlichkeit für den Flughafen selbst nachweisen, würden mich diese jedenfalls interessieren.
 
Davon abgesehen ist die Bequemlichkeit der Anreise wohl nicht der einzige Grund nach Wien zu kommen. Hier zählt auch der Erholungsfaktor und eine intakte Umwelt. Deutlich mehr Fluglärm und permanente Überschreitungen der Feinstaubwerte sind wohl kein Grund ausgerechnet nach Wien zu kommen - und das gilt dann auch für jene 83%, die nicht mit dem Flugzeug anreisen und zusätzlich für jene, denen es egal ist, ob sie einmal umsteigen müssen.
 
Auf die Situation jener Beherbergungsbetriebe Südwesten Wiens, die unter den vermehrten Fluglärm einer 3. Piste zu leiden hätten, wurde meines Wissens bereits hingewiesen. In wie weit Sie - unter der Berücksichtigung dass es dort deutlich lauter und nicht wie fälschlicherweise von Wiener "Umweltpolitikern" behauptet leiser wird - auch deren Anliegen vertreten, ist vermutlich auch eine spannende Frage. In diesem Sinne hoffe ich, dass Sie Ihre Position - auf Basis von realitätsnahen Annahmen - nochmals überdenken.

Kommentar
Zitate aus Future Business Austria Infrastruktur Report zeigen, dass die Wirtschaftskammer die - ohnehin zweifelhaften Argumente - auch noch aus dem Zusammenhang gerissen hat:

Bei den bodenseitigen Kapazitäten stößt der Flughafen Wien bereits heute
zu Spitzenzeiten – mit 68 von möglichen 72 Starts pro Stunde – an seine
Grenzen und muss Verkehr abweisen.
Neben der dritten Piste wird daher
langfristig eine bessere Nutzung der Möglichkeiten (z.B. durch Verhand-
lungen mit allen beteiligten Partnern, um das restriktive Anflugregime zu
lockern, oder durch lärmarme Flugverfahren) bzw. teilweise das Auswei-
chen auf Regionalflughäfen nötig sein. Denn aufgrund von Widerstand der
Bevölkerung sowie umfassenden gesetzlichen Vorgaben sind Ausbauinitia-
tiven von Flughäfen schwer durchzusetzen.
 
Die dritte Piste ist ein wichtiges Projekt. Die langfristige Entwicklung im
internationalen Flugverkehr ist über das jetzige System mit zwei sich
kreuzenden Pisten nicht effektiv zu bewältigen. Eine zusätzliche Start-
und Landebahn bedeutet letztlich auch weniger Verspätungen, weniger
Treibstoffverbrauch und weniger Lärm durch "Warteschleifen" der Flug-
zeuge in Stoßzeiten.