Süden und Westen Wiens leiden unter hunderten Einflügen täglich in geringer Höhe – speziell bei Schönwetter
Die Fluglärm-Saison hat begonnen
330 Überflüge pro Tag belasten manche Gegenden Wiens schwer. Foto: apa/jäger330 Überflüge pro Tag belasten manche Gegenden Wiens schwer. Foto: apa/jäger
Von Werner Grotte
Aufzählung Dritte Piste: Wien erstmals kritisch.
Aufzählung Niederösterreich will Lärmverordnung vom Bund.
Aufzählung Gegner sehen Mediationsvertrag als gebrochen an.

Wien. Kaum wird das Wetter schöner, häufen sich die Beschwerden über Fluglärm – und das längst nicht mehr in den Anrainergemeinden Schwechats, sondern vor allem in den westlichen und südlichen Bezirken Wiens. Heuer scheint auch erstmals politisch Bewegung in die festgefahrene Diskussion zu kommen: Wien äußert sich in seiner Stellungnahme zur dritten Piste ungewohnt kritisch, Niederösterreich fordert vom Bund verbindliche Fluglärm-Höchstwerte.
Die Lage ist ernst: Bewohner des Laaer Berges in Favoriten zählen bis zu 330 Überflüge pro Tag in Höhen von etwa 1000 Metern – was einen permanenten Schallpegel von 70 bis 80 Dezibel ergibt – das entspricht in etwa Wiens Verkehrshölle Gürtel bei offenem Fenster. Die Fluglärm-Lage in den Bezirken 3–7, 11–16 und 22 ist ähnlich.
Wien, das sich als 20-Prozent-Miteigentümer am Flughafen Schwechat bisher wenig mitfühlend mit seinen geplagten Bürgern zeigte, scheint angesichts immer lauterer Hilferufe nun aufzuwachen: In der Stellungnahme zur geplanten dritten Flughafenpiste ("Parallelpiste 11R/29L") wird unter anderem festgestellt, dass das von den Projektwerbern bisher angepriesene gekurvte Anflugverfahren ("Curved Approach") "derzeit noch nicht den internationalen Sicherheitsstandards entspricht".
Obwohl noch nicht absehbar sei, wann dieses Verfahren, mit dem (weitere) Anflüge über der Stadt unnötig wären, realisiert werden kann, macht Wien dies zur Bedingung für eine Genehmigung der Piste. Gleichzeitig wird auch eine Reduzierung der bestehenden Landepiste verlangt.
Das Land Niederösterreich, das ebenfalls 20 Prozent am Flughafen hält und daraus so wie Wien rund zehn Millionen Euro an jährlichen Einnahmen kassiert, hielt sich bisher mit Stellungnahmen zurück. Auch der neue Umweltlandesrat Stephan Pernkopf (ÖVP), erst seit vier Wochen im Amt, "will in so einer heiklen Sache keine übereilten politischen Aussagen machen".
Pernkopf will sich erst ein Bild der komplizierten Lage machen – ist seine Behörde doch nicht nur mit einer Klage der EU bezüglich nachzuholender Umweltverträglichkeits-Erklärungen (UVE) für alle Flughafen-Ausbauten der letzten zehn Jahre konfrontiert.
Auch die Umweltverträglichkeits-Prüfung (UVP) für die umstrittene dritte Piste ist bereits angelaufen. "Um die abzuschließen, brauchen wir verbindliche Grenzwerte in Form einer Fluglärm-Verordnung, und dafür ist die Bundesregierung zuständig", heißt es aus dem Pernkopf-Ressort.
Wie man im Büro von Verkehrsministerin Doris Bures bestätigt, sei besagte "Luftverkehrs-Immissionsschutz-Verordnung in engem Einvernehmen mit dem Umweltministerium bereits in Ausarbeitung", so ein Sprecher. Fertigstellungstermin konnte er allerdings noch keinen nennen, man sei "mitten im Projekt".
57.000 Flüge über Wien
Ihre schlimmsten Befürchtungen sehen indes die Fluglärm-Betroffenen bestätigt: 18.378 Flugzeuge seien im Vorjahr von Westen aus über Wien gedonnert – "um 3063 mehr als dies nach dem ohnehin schon niedrigen Schutzniveau der Mediationsvereinbarung zulässig ist", heißt es in einer Aussendung des "Verein Bürgerinitiative gegen Fluglärm in Wien West". Zusätzlich hätten im Vorjahr 38.561 Flieger über Eßling (22. Bezirk) kommend Wien überflogen.
Kritik üben die Betroffenen vor allem an der "Austro Control", die ebenfalls dem Verkehrsministerium untersteht. Diese habe von Anfang an eine verbindliche Zusage zu den Mediations-Vereinbarungen verweigert und halte sich bei der Verteilung von Starts und Landungen der Flugzeuge auch nicht daran.
Seitens des Flughafens Wien bestätigt man die genannten Zahlen, betont aber, dass die vorjährige Überschreitung der vereinbarten Überflüge "nur etwa 2,3 Prozentpunkte betragen", so Sprecher Peter Kleemann. Für 2009 erwarte man fünf Prozent weniger Passagiere und vier Prozent weniger Flüge. Weil der Flugverkehr "langfristig aber wachsen wird, ist die dritte Piste unbedingt nötig und wird auch Entlastungen für die Anrainer bringen", sagt Kleemann.
Printausgabe vom Dienstag, 07. April 2009