Eine geplante Verordnung des Verkehrsministeriums bringt Fluglärm-Opfer zur Verzweiflung
Szenario in Großenzersdorf, im Norden Wiens: Fast täglich Beschwerden über Fluglärm. |
Foto: Pessenlehner |
Neue Grenzwerte werden verordnet.
Kein Sanctus vom Umweltministerium.
"Freibrief" für Bau der 3. Piste?
Wien.
"Seit 22.24 Uhr ist über unseren Köpfen die Hölle
los! 9 Überflüge in 25 Minuten!" – "Um 3.45
Uhr durch Geisterflieger geweckt, denn offiziell herrscht ja
Nachtflugverbot." – "Heute wieder 13 Stunden
Fluglärm-Terror!" Ob Laaer Berg-Favoriten, Liesing,
Großenzersdorf oder Penzing – Hilferufe wie diese
erreichen die "Wiener Zeitung" auch im Winter fast täglich.
Verschärft wird die Aufregung nun durch eine geplante
"Schwellenwert"-Verordnung des Verkehrsministerium (BMVIT),
die Lärmgrenzen für Flughafen-Neubauten – etwa die
umstrittene 3. Piste – definiert.
Mit heute, Freitag, läuft die seit Dezember laufende Begutachtungsfrist zur "Luftverkehr-Immissionsschutzverordnung" aus – die Stellungnahmen sind alles andere als positiv. Umweltministerium, Bundesumweltamt und Umweltorganisationen wie "Antifluglärmgemeinschaft" (AFLG) haben eine ganze Reihe an Mängeln aufgelistet, "ohne deren Beseitigung es kein Einverständnis unsererseits geben wir", betont etwa Umweltministeriums-Sprecherin Doris Ostermann.
Kernpunkt der Kritik sind die Lärm-"Schwellenwerte": Seitens des BMVIT sieht man nämlich gar "eine Verbesserung des Ist-Zustandes, weil wir die geltenden Richtlinien des Bundes-Umgebungslärmgesetzes unterschreiten", so Sprecher Walter Fleißner. Tatsächlich gelten dort tagsüber 65 Dezibel (dB) und nachts 55 dB als Grenzwert, ab denen der Verursacher (der Flughafen) "Maßnahmen" setzen muss.
Für Neubauten sieht die Verordnung nun Werte von 62 respektive 52 dB vor; ab 2017 sollen es 60 und 50 sein. "Das ist uns zu spät, die Reduktion muss viel früher erfolgen", sagt Ostermann. Zudem seien im Entwurf keinerlei Gegenmaßnahmen – etwa lärmarme An- und Abflugverfahren – vorgeschrieben.
Noch deutlicher wird das Umweltbundesamt (UBA): Zu der im Internet veröffentlichten Stellungnahme heißt es, dass laut internationaler Richtlinien (etwa Deutsches Umweltbundesamtes oder WHO) Fluglärm bereits ab 55 dB tags und 45 dB nachts "zu erheblichen Belästigungen" führt und Fluglärm bei 60 respektive 50 dB "Gesundheitsbeeinträchtigungen befürchten lässt". Die hierzulande geltenden 65 bzw. 55 dB lassen gar "Herz- und Kreislauferkrankungen erwarten"; ein erhöhtes Risiko dafür bestehe gar "bereits ab 40 Dezibel".
Hohes Krankheitsrisiko
"Natürlich wird uns jetzt eine Verbesserung verkauft, weil die Richtlinien generell zu hoch sind", empört sich Johanna Aschenbrenner-Faltl von der AFLG. Die der Verordnung zugrunde liegenden Gutachten des Hygieneinstituts Wien seien "reine Gefälligkeitsgutachten für die Auftraggeber".
Noch deutlicher sagt es die Wiener Physikerin Brigitte Buschbeck in einer für die AFLG formulierten Stellungnahme: "Dieser Entwurf verdient den Namen ‚Schutzverordnung‘ nicht, denn er ist ein Freibrief für den vom Flughafen Schwechat betriebenen rücksichtslosen Ausbau." Im Falle eines Inkrafttretens der (Gesetzes-)Verordnung würde die für Ende 2010 vorgesehene UVP (Umweltverträglichkeitsprüfung) für die 3. Piste angesichts viel zu hoher "Schwellenwerte" zu einer "Farce" degradiert.
Das Problem bei Fluglärm dieser Stärke sei nämlich, dass er aufgrund der tiefen Frequenzen selbst mit Schallschutzfenstern nicht abzuwehren sei. Überflüge dieser Lautstärke würde für Betroffene also regelmäßige Beeinträchtigungen des Schlafes bedeuten – wie es in der Praxis bereits viele tausend Wiener tagtäglich erleben.
Seitens des Flughafens Schwechat verweist man bei Lärmbeschwerden nur noch auf die Austro Control, die ja die Flugrouten und -zeiten festlege. Bei der Austro Control rechtfertigt man sich mit "Weiterleitung der Beschwerden an das Dialogforum zwecks Evaluierung". Das Dialogforum wiederum steht im Auftrag des Flughafens.
Seitens des BMVIT will man nun die Stellungnahmen prüfen "und dann wie gesetzlich vorgesehen weiterarbeiten", so Fleißner. Die AFLG plant im Notfall "rechtliche Schritte bis zur letzten Konsequenz".
Printausgabe vom Freitag, 29. Jänner 2010
Online
seit: Donnerstag, 28. Jänner 2010 17:49:08
Originallink: http://wienerzeitung.at/DesktopDefault.aspx?TabID=3941&Alias=wzo&cob=468627