Notlandung mit Europas Pechvogel
Die Geschichte des A380 überschattet eine lange Serie von Pleiten und Pannen. Nach der Panne einer Qantas-Maschine in Singapur droht Airbus und dem Turbinenhersteller Rolls-Royce ein Imageschaden
Über Singapur ist der Albtraum von Millionen Fluggästen Realität geworden. Erst nach der sicheren Landung, beim Anblick des explodierten Triebwerks dürften die meisten Passagiere von Flug QF32 realisiert haben, wie viel Glück sie gehabt haben. So wie an ihrem A380 darf ein Flugzeugtriebwerk niemals aussehen - schon gar nicht am Prestigeobjekt des europäischen Flugzeugbauers, dem größten und derzeit modernsten Passagierflugzeug der Welt: schwarz verrußt und mit abgesprengter Verkleidung kam die Maschine am Boden an. Ein Passagier mit Fensterplatz neben der linken Tragfläche fotografierte, wie von unten Turbinenteile den Flügel durchbohrten.
Im Inneren des Triebwerks hatten sich offenbar Teile gelöst, sie wurden mit ungeheurer Wucht durch die Verkleidung des Motors nach außen katapultiert. Das darf einem Triebwerksbauer nicht passieren. In Industriekreisen ist wie bei Atomkraftwerken von einem "GAU im Triebwerkbau" die Rede. Denn der Schaden an der Turbine hätte zu einer Katastrophe mit Hunderten Toten führen können. "Da hätte nur die Triebwerksscheibe den Tank oder die Kabinenwand durchschlagen müssen, und schon wären mehr als 400 Menschen ums Leben gekommen. Da war Gott auf unserer Seite", sagt ein Experte.
Das haben sicher auch viele in den Airbuswerken, die über ganz Europa verteilt sind, gedacht - obwohl die riesigen Turbinen gar nicht von dem Flugzeugbauer selbst gefertigt werden. Die Kunden von Airbus, also die Fluggesellschaften, können beim Antrieb zwischen zwei Anbietern wählen. Die Qantas-Maschine flog mit Turbinen des britischen Herstellers Rolls-Royce, die auch die Flugzeuge der Lufthansa und Singapore Airlines antreiben.
Beide Gesellschaften haben nach Aufforderung von Rolls-Royce ihre Triebwerke überprüft und danach die Flugzeuge wieder in die Luft gebracht. Qantas will die aktuellen Untersuchungen bis heute abwarten und dann wieder starten.
Jeder Tag, den die im Durchschnitt 350 Millionen Euro teuren Riesenflieger nicht in der Luft sind, kostet die Airlines viel Geld: Tausende Passagiere müssen dann am Flughafen versorgt, umgebucht oder in Hotels untergebracht werden. Qantas etwa setzte auf einzelnen Strecken Maschinen seines Allianzpartners British Airways ein. Pro Woche entgehen der Airline durch die ausgefallenen Flieger 20 Millionen Australische Dollar (14,5 Millionen Euro) Umsatz.
Das Management des A380-Erstkunden Singapore Airlines war schon vor dem Qantas-Zwischenfall in dieser Woche verärgert. Seit seinem Jungfernflug im Jahr 2005 scheint das Vorzeigeflugzeug von Airbus vom Pech verfolgt zu sein: Es konnte wegen erheblicher Verzögerungen bei der Fertigung erst Jahre nach dem ursprünglich angepeilten Termin ausgeliefert werden. Die Maschinen der ersten Kunden standen immer wieder wegen technischer Probleme länger als gewollt auf dem Boden. Erst im März platzten bei einer Landung in Sydney zwei Reifen. Airbus-Großkunde Emirates fand angeschmorte Stromkabel sowie abgerissene Verkleidungsbleche. Im September 2009 musste ein A380 der Singapore nach dem Start in Paris umkehren, weil ein Rolls-Royce-Triebwerk ausgefallen war.
Für Luftfahrtexperten sind solche Vorfälle allerdings ganz normale Probleme, die während des Flugbetriebs auftauchen können - zumal bei einem völlig neu konstruierten Flugzeug. Auch bei neuen Automodellen sei das nicht anders. Dennoch sei Fliegen immer noch sicherer als Autofahren.
Selbst der Ausfall eines Triebwerks bringt gut trainierte Piloten normalerweise nicht aus der Ruhe - schon gar nicht, wenn ihr Jet, wie beim A380, mit vier Turbinen ausgestattet ist. Nur einer der riesigen Motoren reicht in der Regel aus, um sicher zu landen. Bei Reisegeschwindigkeit bringt jedes der fliegenden Kraftwerke etwa 58 Megawatt Leistung. Das wäre genug, um eine Kleinstadt mit 120 000 Wohnungen mit Strom zu versorgen.
Aus Sicht der Fluggesellschaften sind Maschinen wie den Jumbo von Boeing und der A380 Prestige-Produkte, deren guter Ruf ihnen auch wirtschaftlich hilft. Vielen Passagiere empfinden es noch immer als etwas Besonderes, mit einer A380 mit teilweise mehr als 500 Sitzen geflogen zu sein. Deshalb legte etwa Air France zu Werbezwecken ein paar Mal mit einer prall gefüllten A380 die kurze Strecke Paris-London zurück. Auch die Auslastung der bislang im Linienverkehr fliegenden 37 Airbusse ist sehr gut.
Gerade deswegen droht die Faszination nach einem dramatischen Zwischenfall wie bei Qantas schnell in Angst umzuschlagen. Das Image des Supervogels ist stark angekratzt. Technische Probleme sind in den vergangenen drei Jahren, seit der A380 im Linienbetrieb eingesetzt wird, immer wieder aufgetreten. Einen Absturz gab es bislang zum Glück noch nicht. "Davor haben alle Airline-Chefs große Angst - gerade bei neuen Flugzeugen", sagt Luftfahrtexperte Heinrich Großbongardt, der seit vielen Jahren in der Branche arbeitet.
Auch Airbus-Konkurrent Boeing ist solch ein früher Absturz seines Jumbos - also der 747 - erspart geblieben. Erst viele Jahre nach dem Jungfernflug im Jahr 1969 kam es zu den ersten Totalverlusten.
Qantas-Chef Alan Joyce und seine Passagiere sind noch einmal glimpflich davon gekommen. Allerdings musste nach der Notlandung in Singapur das intakte Triebwerk neben dem halb zerstörten Antrieb des A380 von der Flughafenfeuerwehr mit Wasser "ertränkt" werden, weil es sich anders nicht stoppen ließ. Das deutet auf ernsthafte Probleme mit der Elektrik hin.
Sollte sich bestätigen, dass es sich dabei "wahrscheinlich um einen Materialfehler oder ein Konstruktions-Problem" handelt, wie Joyce vermutet, dann wird es für Airbus und Rolls-Royce sehr eng. Ein Indiz dafür ist, dass die EU-Agentur EASA, die den technischen Betrieb der Rolls-Royce-Turbinen zertifiziert hat, bereits im August die Airlines zu zusätzlichen Kontrollen der A380-Triebwerke "Trent 900" aufgefordert hatte. Hintergrund sei eine ungewöhnliche Abnutzung bestimmter Bauteile, hieß es. Sollte sich dies bewahrheiten, wird Rolls-Royce schnellstens alle Triebwerke nachrüsten müssen. Das allerdings kann viele Monate dauern. Bis dahin müssten die Fluggesellschaften ihre Antriebe in sehr kurzen Abständen auf etwaigen Verschleiß oder Beschädigungen untersuchen lassen. Und die Angst fliegt mit.