Studie: Je lauter desto kranker
Lärmwirkungsforschung: Bremer Professor legt Ergebnisse der weltweit größten Datenbasis als Grundlage vor
HATTERSHEIM. Wenn es um die Auswirkungen von Lärm auf den menschlichen Körper geht, gibt es kaum handfeste Untersuchungen. Vor allem Verkehrslärm beeinträchtigt das Wohlbefinden vieler Menschen jedoch erheblich, wie Umfragen immer wieder zeigen. Doch wirkt sich der Lärm auch auf die Gesundheit aus? Betroffene vermuten es, schlüssige Beweise gibt es aber nicht, weil Langzeitstudien fehlen. Es gibt auch keine schlüssigen Untersuchungen, wie viel Dezibel ein Mensch in der Nacht erträgt, ohne in seinem Schlaf gestört zu werden. Das hängt vor allem auch damit zusammen, dass jeder Mensch Lärm anders empfindet. Was bei einigen Menschen bereits zu Aufwachreaktionen führt, läßt andere ungestört weiter schnarchen.
Kaum aussagekräftig sind deshalb nach Meinung von Fachleuten Einzelbefragungen, wie sie zum Beispiel auch im Vorfeld des Planfeststellungsverfahrens für den Flughafenausbau durchgeführt wurden. So wurden beispielsweise für eine Schlafstudie gerade mal 61 Personen befragt, wie sie Lärm empfinden.

Eberhard Greiser und sein Team von der Uni Bremen gingen einen ganz anderen Weg. Sie wählten aus der Region rund um den Flughafen Köln/Bonn die Stadt Köln, den Rheinisch-Bergischen Kreis und den Rhein-Sieg-Kreis als Untersuchungsobjekte aus. Dort gibt es viel bis gar keinen Fluglärm. Befragt wurden nicht etwa Einzelpersonen. Greiser wertete stattdessen die Unterlagen mehrerer Krankenkassen aus. Diese Unterlagen zeigen nämlich sehr genau, welche Patienten welche Medikamente in welchen Mengen verschrieben bekommen. Daraus ließen sich dann ganz einfache Schlüsse ziehen, die eine deutliche Sprache sprechen.

„Fluglärm macht krank“, ist sich Eberhard Greiser sicher. Tatsächlich kann er anhand der ihm zur Verfügung gestellten Daten nachweisen, dass Menschen, je näher sie am Flughafen wohnen, umso mehr Medikamente benötigen. Dabei spielt es kaum eine Rolle, aus welchen sozialen Schichten sie kommen. Auch wurde deutlich, dass die Medikamentenverordnung dann zurückging, wenn sich Anwohner Schallschutzeinrichtungen in ihre Wohnungen oder Häuser einbauen ließen und wieder besser schlafen konnten.

Interessant auch, dass Menschen dort vermehrt Herz- und Kreislaufmittel, Antidepressiva, oder blutsenkende Mittel einnahmen, wo es zwischen drei und fünf Uhr in der Frühe besonders laut war. In der zweiten Nachthälfte befinde sich der Mensch in Tiefschlafphasen, weshalb Aufwachphasen besonders gesundheitsschädlich seien.

Eberhard Greiser wertete für seine Untersuchung, die von sechs Professoren begleitet wurde, rund 1,8 Millionen Versicherungsjahre aus und stützte sich damit auf die bisher weltweit größte Datenbasis zur Untersuchung von Lärmfolgen auf die Gesundheit des Menschen. Dass seine Schlüsse logisch sind, zeigt sich nach seinen Worten beim Vergleich mit ähnlichen Untersuchungen in den Niederlanden und Skandinavien, wo Gutachter zu nahezu den gleichen Ergebnissen wie er selbst kamen.

Tierversuche hätten gezeigt, dass sich Lärm negativ auf das Immunsystem auswirkte. Das vermehrte Auftreten von Allergien sei die Folge, aber auch eine höhere Empfänglichkeit des Körpers für Krebserkrankungen, weil die Abwehrmechanismen nicht mehr in vollem Umfang funktionierten.

Diese Beobachtungen bestätigte der Rüsselsheimer Hautarzt Rolf Denk aus seiner täglichen Praxis. Er musste in den vergangenen Jahren immer mehr Menschen mit Allergien behandeln. Auch habe er die Erfahrung gemacht, dass Menschen, die Fluglärm ausgesetzt sind, öfter schwerhörig würden.

Kein gutes Haar läßt Eberhard Greiser an den Studien, die im Zug des geplanten Flughafenausbaus zur Lärmwirkung herangezogen wurden. Die so genannte Fluglärm-Synopse von 2004 sei „in einigen wichtigen Phasen frei erfunden“ und die Schlafstudie von 2004 mit den genannten 61 Personen alles andere als repräsentativ, zumal alle Probanten kerngesund gewesen seien, aber gerade ältere und kranke Menschen besonders unter Lärm zu leiden hätten.Greiser weist nach, dass bereits ein Dauerschallpegel von 48 Dezibel zu einem deutlich erhöhten Medikamentenverbrauch führt. Im direkten Flughafenumland am Frankfurter Flughafen werden Dauerschallpegel von bis zu 63 Dezibel gemessen, wobei es sich dabei um Fraport-Daten handelt.

Greiser empfahl den Ausbaugegnern, mit seiner Studie „mehr zu wuchern“. Er ist überzeugt, dass der Verwaltungsgerichtshof in Leipzig an diesen Ergebnissen nicht vorbeikommt, wenn er die Folgen des Flughafenausbaus bewerten muss. Gleichzeitig müsse alles daran gesetzt werden, die Auswirkung von Flug- und Verkehrslärm auf Menschen weiterhin intensiv zu untersuchen. Greiser forderte weiter, bei der Bewertung vom Lärm dürfe nicht länger nur der Dauerschallpegel herangezogen werden, der eine Mittelung aller Lärmereignisse über 24 Stunden darstellt. Vielmehr müssten die Einzelschallereignisse eine größere Rolle spielen. Er ist sich sicher, dass gerade hohe Einzelschallereignisse zu Erkrankungen bei Menschen führen und Kinder, die in solchen Regionen aufwachsen, erhebliche Entwicklungsstörungen haben.

Hans-Jakob Gall, Sprecher des Vereins „Für Flörsheim“, betonte, nach dem Flughafenausbau hätten die Flörsheimer nicht nur unter einer akustischen, sondern auch unter einer optischen Bedrohung zu leiden, wenn Flieger in nur 245 Metern Höhe über die Stadt donnerten. „Diese Bedrohung ist in keinem Gutachten berücksichtigt“, klagte Gall.



Das Gutachten kann von der Homepage des Umweltbundesamtes heruntergeladen werden.
Hans Dieter Erlenbach
21.6.2007

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